„Die Corona-Pandemie und verfassungsrechtliche Probleme“ - Bericht von einem Online-Symposium anlässlich des 160-jährigen Jubiläums der deutsch-japanischen Beziehungen am 11. Juni 2021

09.09.2021

photo: pexels.com/Ryutaro Tsukata

Veranstalter des gut besuchten Symposiums war das Institute for Justice Systems in Comparative Law der Ritsumeikan Universität in Kyoto mit Herrn Professor Dr. Masahisa Deguchi als Hauptorganisator. Deutsche Mitveranstalter waren die Deutsch-Japanische Juristenvereinigung (DJJV), die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) sowie der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD). Als Förderer des Symposiums beteiligten sich die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland, die Humboldt-Gesellschaft Japan und der Freiburger Alumni-Club Japan. Herr Professor Deguchi moderierte den Eröffnungsteil, der mit einer kleinen Konzerteinlage begann (Mayuko Obuchi am Klavier und Tenor Jakob Nistler, beide Wien).

Nach kurzen Grußworten von Frau Botschafterin Ina Lempel (Deutsche Botschaft in Tokyo) und Herrn Professor Dr. Ryuichi Higuchi (Meiji Gakuin Universität in Tokyo, Präsident des DAAD-Alumni- Clubs in Japan) folgte der Vortrag des Festredners Professor Dr. Rupert Scholz (LMU München): „Verfassungsproblem Corona-Pandemie“.

Die Koordination der weiteren Beiträge leistete Herr Professor Dr. Hans-Peter Marutschke (Doshisha Universität Kyoto). Professor Scholz spannte in seinem Festbeitrag einen weiten Bogen der verschiedenen verfassungsrechtlichen Aspekte der Corona-Pandemie und gab eine pointierte Einschätzung, inwieweit sich die demokratischen Systeme in der Pandemie bewährt haben. Dies umfasste eine Übersicht über die einschlägigen Grundrechtseingriffe und ihre mögliche Rechtfertigung, eine Auslegung gemäss dem Grundsatz der praktischen Konkordanz, die adäquate Anwendung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes, die Gewährung effektiven Rechtsschutzes, den Einstieg in die europäische Fiskalunion (Art.23, 79 Abs.1 und 3 GG) und die zentrale Frage nach der vertikalen und horizontalen Gewaltenteilung. Der Festredner erneuerte seine bereits wiederholt vorgetragene Forderung, das deutsche Grundgesetz um eine neue und erweiternde Notstandsregelung für Fälle des Gesundheitsnotstandes zu ergänzen, wie dies z.B. in Frankreich geschehen ist.

Frau Professorin Dr. Angelika Nußberger (Vizepräsidentin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte a. D., Universität Köln) bezeichnete die Corona-Pandemie in ihrem Kommentar als die erste große Epochengrenzlinie im 21. Jahrhundert – es werde eine Zeit „vor der Pandemie“ und eine Zeit „nach der Pandemie“ geben. Den Meinungsstand hinsichtlich der Frage der Bewährung der demokratischen Systeme in der Pandemie beschrieb sie so: Ein Teil der Beobachter, zu denen auch Professor Scholz gehöre, sehe die Reaktionen in einem System wie Deutschland sehr kritisch und beurteile die getroffenen Maßnahmen in der Mehrzahl als verfassungswidrig und den Umgang mit der Krise damit als insgesamt aus der Sicht des Rechts inadäquat. Andere würden argumentieren, dass sich der Verfassungsstaat bewährt habe und die im demokratischen Prozess in einem Verfahren von „trial and error“ gefundenen Antworten differenzierte und situationsgerechte Antworten ermöglicht hätten. Immer stelle sich die Frage der Verhältnismässigkeit der Eingriffe mit der notwendigen Differenzierung zwischen Kurzzeitfolgen und Langzeitfolgen. In Krisen gelte es oftmals „das Schlimmste zu verhüten“. Sei dies gelungen, sollte man dies auch grundsätzlich als Erfolg der im Rahmen des Verfassungssystems getroffenen Maßnahmen ansehen.

In der Zukunft sollte es mehr um gerechten gesellschaftlichen Ausgleich und Solidarität als um Entschädigungsforderungen gehen.

Herr Professor Dr. Keizo Yamamoto (Kyoto Universität) berichtete über das japanische Schutzimpfungsgesetz von 1948, das Ende 2020 novelliert wurde.

Herr Rechtsanwalt Dr. Johannes Michael Pils stellte für die Deutsch-Japanische Gesellschaft für Arbeitsrecht die drei Elemente „Betrieblicher Arbeits-und Gesundheitsschutz“, „Verstärkte Digitalisierungstendenzen“ und  „Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ in den Mittelpunkt.

Herr Professor Dr. Toru Mori (Universität Kyoto) und Frau Professorin Dr. Michiko Takata (Städtische Universität Osaka) berichteten von einem spezifischen japanischen Sanktionsmittel, wenn behördliche Vorgaben nicht eingehalten würden: die Veröffentlichung der Namen der Verweigerer!

Herr Professor Dr. Philipp Osten (Keio Universität, Tokyo) steuerte einige Aspekte aus strafrechtlicher Sicht bei, u.a. „Triage“ als Strafrechtsfrage.

Herr Rechtsanwalt Thomas Sasse (Corplegal, München) thematisierte eine eventuelle Absage der Olympischen Spiele in Tokyo als Beispiel für die Debatte um die Abwägung von Rechten und Pflichten für das Gemeinwohl. Eine sehr interessante Zusammenfassung gesellschafts- und insolvenzrechtlicher Regelungen aufgrund der Corona-Pandemie bot Herr Professor Dr. Markus Gehrlein mit seiner reichhaltigen beruflichen Erfahrung (Richter am Bundesgerichtshof i.R.). Er beschrieb die weitreichenden gesetzlichen Regelungen, die in Deutschland zur wirtschaftlichen Bewältigung der Corona-Pandemie geschaffen wurden. Dazu gehören die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht (§ 1 Satz 1 COVInsAG), Zahlungen nach Insolvenzreife (§ 2 Abs. 1 Nr.1 COVInsAG) sowie im Rahmen der Insolvenzanfechtung die Befriedigung und Sicherung von Darlehen (§ 2 Abs.1 Hs.1 COVINSAG) und die Befriedigung und Sicherung anderer Forderungen (§ 2 Abs.1 Nr.4 COVInsAG).

Herr Tim Eicke (Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte) rundete die Kommentare mit einem kurzen Beitrag aus Sicht des EGMR ab. Für den EGMR als Hüter der Konvention habe sich die Pandemie durch etwa 350 Anträge auf einstweilige Verfügungen nach Art. 39 der Verfahrensordnung bemerkbar gemacht.

Mit Schlussworten von Professor Deguchi, Dr. Jan Grotheer (Ehrenpräsident der DJJV) und Herrn Rechtsanwalt Dr. Hironaga Kaneko (Präsident der DJJV) endete dieses sehr gelungene Online-Symposium unter dem dankbaren Beifall der über 100 Teilnehmer.

 

von Herrn Rechtsanwalt Benno Wagner




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